Hansa Rostock ist ein Verein aus dem Erzgebirge ?

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Anekdoten

Eine Fußballmannschaft wird umgesiedelt

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In den fünfziger Jahren dominierten die Mannschaften aus dem Erzgebirge die Fußball-Oberliga. 1954 wurde deshalb die BSG Empor Lauter in einer Nacht- und Nebelaktion nach Rostock umgesiedelt. In der Oberliga, der höchsten Spielklasse der DDR, gab es Mitte der fünfziger Jahre fünf Mannschaften aus dem Erzgebirge : Wismut Aue, Chemie Karl-Marx-Stadt, Motor Zwickau, Fortschritt Meerane und die BSG Empor Lauter. Und sie dominierten die Konkurrenz. Aus dem hohen Norden oder Berlin war hingegen keine einzige Mannschaft vertreten. Das sollte sich nach dem Willen der SED und ihrer Sportfunktionäre jedoch schleunigst ändern. Nachdem bereits die Fußballmannschaft von Vorwärts Leipzig 1953 nach Berlin verlegt worden war, sollte die BSG Wismut Aue ein Jahr später im Zuge einer Zentralisierung nach Karl-Marx-Stadt umgesiedelt werden. Doch die Verlegung scheiterte am Widerstand der Auer Fans, darunter etliche Kumpel der "Wismut", des größten Uranproduzenten der Welt. Sie argumentierten, das ihre Arbeitsmoral darunter leiden würde, wenn ihr Verein nicht mehr in Aue spielt. Diese Drohung machte Eindruck bei den Funktionären. Der Verein wurde im Sommer 1954 zwar in SC Wismut Karl-Marx-Stadt umbenannt, durfte seine Heimspiele aber weiterhin im heimischen Otto-Grotewohl-Stadion austragen.

Schlimmer erging es den Fußballern der BSG Empor Lauter, einem kleinen Ort, drei Kilometer von Aue entfernt. Sie wurden tatsächlich umgesiedelt und zwar an die Ostsee. "Rostock hatte gar nichts. Und da haben die Funktionäre gesagt: Hier unten im Erzgebirge müssen wir bisschen Luft machen und dafür an der Küste was veranstalten", erinnert sich Karl Bochmann, damals Spieler der BSG Empor Lauter. Anders als im nahen Aue gab es in Lauter keine "Wismut" - Kumpel, die den Funktionären hätten drohen können.

Als 1954 das "Ostseestadion" in Rostock eröffnet wurde, kamen sowohl die Genossen der SED - Bezirksleitung als auch die Sportfunktionäre überein, das nun auch eine leistungsfähige Fußballmannschaft hier einziehen müsse. Denn schließlich müsse man den Werktätigen, die hier am künftigen "Tor der Welt" bauen, etwas bieten. Doch mit der Kunst der Ostsee - Kicker war es leider nicht weit her. Und so soll, Karl Mewis, Erster Sekretär der SED Bezirksleitung Rostock, intern den Vorschlag ins Spiel gebracht haben, eine der erzgebirgischen Oberliga - Mannschaften an die Ostsee zu verlegen.

In Lauter, der kleinsten der fünf Erzgebirgsstädte, war die Furcht vor dem Verlust der Oberligamannschaft am stärksten und etliche Einwohner drohten vorsichtshalber schon einmal mit einem Boykott der anstehenden Volkskammerwahl für den Fall, das ihre Mannschaft umgesiedelt werden sollte. Aber die Gerüchte schienen sich nicht zu bestätigen. Die neue Saison begann und die BSG Empor Lauter spielte wie gewohnt im heimischen Stadion, während die Auer Elf bereits unter den Namen SC Wismut Karl-Marx-Stadt in die neue Saison gestartet war. Die Lauterer Fans träumten in diesen Herbsttagen sogar schon von der Meisterschaft. Ihre Mannschaft führte die Tabelle nämlich an. Doch nach dem achten Spieltag wurde Lauter die Entscheidung der DDR - Sportführung überraschend publik gemacht, die Mannschaft würde in der kommenden Woche nach Rostock umgesiedelt.

Die Enttäuschung über die Entscheidung aus dem fernen Berlin war riesig und einige Spieler des Tabellenführers wechselten umgehend zu anderen Erzgebirgsvereinen. In der Nacht, als die Mannschaft samt Trainer und Betreuer im Zug saß, um klammheimlich via Leipzig und Berlin nach Rostock gefahren zu werden, blockierten dutzende Lauter - Fans die Bahngleise, um die Umsiedlung im letzten Augenblick noch zu verhindern. Drei Stunden soll es gedauert haben, bis die Gleise von der Polizei geräumt waren und der Zug losfahen konnte. Unter dem Eindruck der wütenden Proteste verließen vorher noch drei Spieler den Zug, sodass am Ende nur zwölf Spieler mit ihrem Trainer in Rostock ankamen.

Die Spieler aus dem Erzgebirge wurden sofort in die Truppe des SC Empor Rostock eingegliedert und liefen bereits am 10. Spieltag gegen Chemie Karl-Marx-Stadt zum Punktspiel auf. Doch trotz der Verstärkung reichte es für die Mannschaft, die 1965 in FC Hansa Rostock umbenannt wurde, am Ende der Saison nur für einen neunten Rang. Besser lief es immerhin im FDGB-Pokal. Dort musste man sich erst im Finale gegen den SC Wismut Karl-Marx-Stadt, der umgesiedelten Mannschaft von Wismut Aue geschlagen geben.

Die neu gegründete BSG Empor Lauter, eben noch mit Hoffnung auf den Meistertitel, war dagegen in eine der untersten Ligen versetzt worden. Und noch jahrelang wurden die Angehörigen der an die Ostseeküste umgezogenen Spieler mit Schmähungen überzogen. Genauso wie die Mannschaft des SC Empor Rostock. Bei Auswärtsspielen, besonders im Erzgebirge, wurden sie fortan mit Sprechchören empfangen : "Verräter ! Verräter ! "

(Quelle: Andeas Biskupek, Olaf Jacobs: DDR ahoi ! Zur Geschichte der ostdeutschen Seefahrt. Mitteldeutscher Verlag Halle 2010.)