Der Spickzettel von Jens Lehmann.

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Anekdoten

Jens Lehmann und das WM-Viertelfinale 2006

Geboren am 10. November 1969 in Essen. Vereine: Schalke, AC Mailand, Dortmund, Arsenal, Stuttgart. Größte Erfolge: 1997 Uefa-Pokalsieger mit Schalke, 2002 Deutscher Meister mit Dortmund, 2004 Englischer Meister mit Arsenal London. Er bestritt 61 Länderspiele. Vize-Europameister 2008, WM-Dritter beim Sommermärchen 2006.

Nach dem Training beim VfB Stuttgart (21.10.2008), nahmen sich die Nationalspieler Jens Lehmann und Cacau (genannt Helmut), Zeit für ihre Fans.

Es war der 30.06.2006, Deutschland spielt im WM-Viertelfinale gegen Argentinien im Berliner Olympiastadion.

Ein sehr hitziges Spiel erwartete die 72.000 Zuschauer in Berlin. Der etwas übermotivierte Podolski bekam nach nur drei Minuten Spielzeit schon die Gelbe Karte.Beste Torchance der ersten Halbzeit durch Ballack Kurz danach eine sehr gute Torchance für Deutschland. Nach einer Flanke von Schneider konnte der freistehende Ballack aber nicht verwerten. Sein Kopfball flog knapp neben dem Tor vorbei.Die Elf von Jürgen Klinsmann mit kaum Ballbesitz. Die Argentinier kontrollierten das Spiel, konnten daraus aber nichts machen, da die Innenverteidigung um Mertesacker und Metzelder sicher stand. In der gesamten ersten Halbzeit gab es keine einzig nennenswerte Torchance auf Seiten der "Gauchos."Keiner schaut auf AyalaGleich zu Beginn der zweiten Halbzeit dann der Schock für Deutschland. Der kleine Ayala überspringt nach Ecke Riquelme, Klose und köpft ins Tor zum 0:1 aus Sicht der Deutschen.Klinsmann reagierte und brachte den schnellen Odonkor für Schneider, der heute nicht zu seinem gewohnt sicherem Spiel kam.Es folgte eine offene Partie. In der 64. Minute hatte Ballack die Riesenchance zum Ausgleich, schießt aber in die Menge. Darauf dann Argentiniens Konterchance. Nach einem Fehler von Lahm kommt Rodriguez an den Ball, schießt aber ans Außennetz.Klose rettet Deutschland kurz vor Schluss In der 80. Minute dann die große Erleichterung. Nach einer Flanke von Ballack, verlängert der gerade eingewechselte Borowski auf Klose. Der Bremer macht kurzen Prozess und köpft den Ball unhaltbar ins Tor zum 1:1. Deutschland war zurück im Spiel. Kurz darauf verlässt Klose mit Schmerzen das Spiel. Der Edeljoker, Oliver Neuville der Deutschland schon gegen Polen zum Sieg geschossen hatte kommt.Kurz vor Abpfiff dann nochmal große Aufregung auf den Rängen. Rodriguez fällt und will Elfmeter haben. Der souveräne Schiedsrichter Lubos Michel gab ihm Gelb für eine Schwalbe.Das Spiel ging also in die Verlängerung, in der auch keine Entscheidung fallen wollte. Beide Mannschaften gingen nicht volles Risiko und so sollte das Elfmeterschießen über den Sieger entscheiden.

Rückblick von Jens Lehmann

Es kam zum Elfmeterschießen. Noch am Morgen hatten wir zusammen gesessen und die Statistiken von Maikel Stevens analysiert, dem Sohn meines ehemaligen Schalke-Trainers Huub Stevens.

Er hatte eine riesige Datenbank mit Elfmeterschützen, von denen er uns vier oder fünf Seiten mit argentinischen Spielern zur Verfügung stellte. Die wichtigsten Informationen schrieb Torwarttrainer Andy Köpke auf das kleine Stück Papier, das später so eine große Karriere machte.

Zu meiner Überraschung kam auf einmal Oliver Kahn zu mir. „Ich wünsch‘ dir viel Glück“, sagte er, „das ist jetzt dein Ding, du machst das.“ Eine tolle Geste; leider war die Zeit nicht da, um sie angemessen zu würdigen, da ich mich konzentrieren musste.

Nun kommt Fabian Ayala. „Flach rechts“ steht hinter seinem Namen auf meinem Zettel, wie immer von mir aus gesehen. Den muss ich halten. Aber wie? Wirklich nur auf den Zettel vertrauen? Kurz bevor er den Ball trifft, springe ich – nach links. Warum? Keine Ahnung. Intuition. Er schießt mir den Ball direkt in die Hände. (...)

Der nächste Schütze ist Maxi Rodriguez, seine Lieblingsecke: rechts. Ich bekomme den Zettel nicht mehr richtig in den Strumpf zurück. Soll ich ihn etwa einfach liegen lassen und später wieder draufschauen? Nein, nachher kommt ein Argentinier und zerreißt oder stiehlt ihn. Ich stopfe ihn irgendwie zurück und gehe ins Tor. Anlauf, Sprung, Schuss – 3:2, Mist. (...)

„Andy, warum schreibst du mit Bleistift? Das kann doch kein Mensch lesen“

Cambiasso kommt. Er ist erst spät eingewechselt worden, während des Spiels habe ich nicht viel von ihm gesehen. Was tun? Ich schaue auf mein nun schon einigermaßen strapaziertes Stück Papier. „Andy, warum schreibst du mit Bleistift, das kann doch kein Mensch lesen!“ Verzweifelt halte ich Ausschau nach Cambiassos Namen – er steht nicht drauf.

Plötzlich, im Bruchteil einer Sekunde, fällt es mir ein: Viertelfinale Champions League, Inter Mailand gegen Villarreal, Cambiasso schießt einen gefährlichen Freistoß über die Mauer in die linke Ecke. Nun läuft er an und ist schon fast am Ball. Ich hüpfe zurück zur Mitte, um von dort aus zu springen. „Cambiasso“ sage ich ein letztes Mal und springe. Nach links.

„Klatsch“ macht es. Wir sind weiter.

Die Deutschen gewinnen das Elfmerterschiessen mit 5:3 gegen Argentinien. Deutschland steht Kopf !

Ich wollte den Zettel schon wegwerfen

Ich zog mich aus und schmiss meine Sachen wie immer auf den Stapel mitten in der Kabine. Als ich meine Handschuhe wegpacken wollte, fiel mein Blick auf etwas Zusammengeknautschtes in der hintersten Ecke meines kleinen Schranks: der Zettel. Ich glättete ihn ein wenig und las noch einmal, was drauf stand. „Naja“, dachte ich, „viel hat er mir ja nicht gebracht.“ Ich knautschte ihn wieder zusammen und schaute mich nach einer Mülltonne um. Weil ich nicht sofort eine sah, schaute ich ihn mir noch einmal an. „Vielleicht freuen sich die Kinder über ein Andenken“, dachte ich und packte ihn in meine Torwarttasche.

Nach der WM ließ Lehmann den Zettel zugunsten der BILD-Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“ für eine Million Euro versteigern. Energiekonzern EnBW ersteigerte das Papier, überließ es dem Haus der Geschichte in Bonn.

Die WM-Handschuhe 2002, von Jens Lehmann, sind in der Tabarzer Fußballausstellung zu bestaunen. Bei diesem Turnier, war er noch Ersatztorhüter. Diese Handschuhe, bekam ich vom Zeugwart und Busfahrer der Nationalmannschaft Wolfgang Hochfellner gestiftet.