Pierre Littbarski: „Wenn ich etwas mache, bin ich mit Herz und Seele dabei“.

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Presseberichte

Thomas Czekalla 15.10.16 TA

Pierre Littbarski: „Wenn ich etwas mache, bin ich mit Herz und Seele dabei“

Fußball-Weltmeister Pierre Littbarski über seinen ersten Besuch in Thüringen, Spaßvogel Thomas Müller und den normalen Transfer-Wahnsinn.
 

 

Sein größter Sieg: Pierre Littbarski (Mitte) mit Andreas Brehme und Lothar Matthäus nach dem WM-Gewinn 1990. Archiv-Foto: Frank Kleefeldt, dpa
 

Sein größter Sieg: Pierre Littbarski (Mitte) mit Andreas Brehme und Lothar Matthäus nach dem WM-Gewinn 1990. Archiv-Foto: Frank Kleefeldt, dpa

Wolfsburg.  Pierre Littbarski  ist als Fußballer und Trainer viel herumgekommen. Einen Landstrich aber kennt er noch nicht:  Thüringen . Das wird sich am 21. Oktober ändern. Dann ist der Weltmeister von 1990, der es in seiner Karriere neben 73 Länderspielen für Deutschland  (18 Tore) auch auf 406 Bundesligaspiele (116 Tore) für den  1. FC  Köln  gebracht hat, in  Tabarz  Talkgast bei der Fußballzeitreise e.V. Unsere Zeitung sprach mit dem 56-jährigen gebürtigen Berliner und jetzigen Chefscout des  VfL  Wolfsburg .

 

Sie waren tatsächlich noch nie in Thüringen?
Ich glaube, ja. Vielleicht bin ich früher mal durch gefahren, wenn ich Leipzig, die Geburtsstadt meiner Mutter, besucht habe. Was ich von Thüringen weiß, ist, dass die beiden Traditionsvereine Erfurt und Jena in der Vergangenheit viele sehr gute Spieler hervorgebracht haben. Die Gesprächsrunde am kommenden Freitag in Tabarz bei der Fußballzeitreise e.V. aber wird mein erster Stopp in der Region sein. Ich freue mich darauf, mir das Museum anzuschauen und abends in der Talkrunde zu plaudern. Ich habe schon viel Gutes über diese fast einzigartige Ausstellung gehört.
Zumindest spielt in der Regionalligamannschaft des VfL Wolfsburg ja ein waschechter Thüringer, den Sie vorab schon mal befragen könnten.
Helfen Sie mir auf die Sprünge.
Sebastian Stolze. Vor zweieinhalb Jahren ist er vom FC Rot-Weiß zum VfL gewechselt.
Ein guter Junge. Ein geradliniger Spieler, sehr fleißig, bodenständig. Er braucht aber noch den besonderen Kick in entscheidenden Situationen, also das I-Tüpfelchen, bis er ein richtig guter Bundesligafußballer wird. Ich traue ihm das zu.
Sehen Sie bei ihm Parallelen zu Ihrer eigenen Entwicklung?
Natürlich, ich war 18 Jahre jung, als ich von Hertha Zehlendorf nach Köln gewechselt bin. Das war für mich eine andere Welt. Ich habe mich durchgebissen.
Und es auf 406 Spiele für den FC gebracht. Schlägt Ihr Herz noch für den Verein?
Irgendwie schon, obwohl ich seit Jahren Chefscout in Wolfsburg bin. Wenn ich etwas mache, dann bin ich auch mit Herz und Seele dabei. Natürlich verfolge ich noch, was in Kölnpassiert.
Sind Sie überrascht? Die haben zuletzt den großen Bayern ein 1:1 abgeluchst, stehen auf Platz vier und werden schon mit Englands ÜberraschungsmeisterLeicester verglichen.
Das ist doch eine freudige Sache für die Region und eine Genugtuung für Trainer und Manager. Die stehen nicht aus Glück da oben. Sie aber jetzt mit Leicester zu vergleichen, ist zu früh. Nach der Winterpause wird man sehen, wohin der Weg führt. Die Ausrichtung der eigenen Taktik wird dann schwieriger.
Machen Sie sich Sorgen um Wolfsburg, das nach sechs Spielen erst einen Sieg hat?
Ich glaube, wir kriegen die Kurve, weil der Kader genug Qualität besitzt. Wir müssen aber langsam anfangen zu punkten.
Sind Sie oft im Stadion?
Selten. Als Chefscout schaue ich mir im Jahr an die 200 Spiele an. Da bleibt wenig Zeit.
Reizt es Sie nicht, wieder als Trainer auf der Bank zu sitzen?
Ich war es 15 Jahre und habe mein Leben als Trainer ausgelebt. Sollte ich wieder rückfällig werden, wäre höchstens Asien ein Thema. Ich habe lange in Japan gearbeitet. Da hängt mein Herz.
Wie kommt es, dass von den Weltmeistern von 1990 kaum noch einer in hohen Ligaämtern oder Cheftrainer ist?
Vielleicht, weil das Trainerleben heute sehr kurzweilig ist und es an Angeboten fehlt.
Thomas "Icke" Häßler hat sich als Trainer sogar die achte Liga in Berlin angetan.
Ich habe ihm dazu sogar gratuliert. Der Icke muss immer etwas tun. So kenne ich ihn. Manchmal ist so ein Schritt ratsam, um im Geschäft anzukommen.
Sie beide galten zu Ihrer Zeit als Bundesliga-Spaßvögel. Vor allem Sie. Hat IhnenBayerns 
Thomas Müller mittlerweile den Rang abgelaufen?
(lacht) Zumindest hat der Thomas heute eine bessere Trefferquote als ich damals. Er ist fürBayern und die Nationalelf goldwert, vermittelt viel Spaß, ohne dass er zur Ulknudel wird. Er ist für mich der 
Karl Valentin des neuen Jahrhunderts.
Spaß ganz anderer Art vermittelt 
Joachim Löw. Der DFB bietet ihm schon jetzt die Vertragsverlängerung über 2018 hinaus an. Was raten Sie ihm?
Jogi und ich haben einst zusammen den Fußballlehrerschein gemacht. Er ist ein Glücksfall für den deutschen Fußball. Ich wünschte mir, dass er annimmt.
Wären Sie heute gern selbst noch Spieler?
Ganz klar ja, ich würde gut mit allem zurechtkommen. Vor allem steht man den Stürmern heute nicht so auf den Füßen wie uns damals.
Ein noch größerer Unterschied aber sind die Geldsummen, die bewegt werden. Sie sollen 1987 für Ihren Wechsel von Paris zurück nach Köln für heutige Verhältnisse fast lächerliche 1,7 Millionen Euro gekostet haben.
Das stimmt nicht. Ich habe 500 000 Mark gekostet und habe meinen Wechsel damals selbst finanziert, weil Köln mich zwar wieder wollte, aber kein Geld dafür hatte.
Heute kosten Spieler teilweise ab 50 Millionen aufwärts . . 
Ich bin kein Typ, der seiner Zeit nachweint. Wenn Vereine in EnglandItalien oder Spaniensolche Summen ausgeben können, gibt das der Markt eben her.
Kommt da bei Ihnen Neid auf?
Überhaupt nicht. Das ist ja auch für deutsche Vereine, die Spieler für viel Geld abgeben, ein Ansporn und eine Chance, solche Summen wieder zu investieren. Ich sehe diese Entwicklung nicht mit großen Sorgenfalten.
Auch nicht, wenn Ihr Wolfsburger 
Julian Draxler trotz Vertrages Wechselwünsche geäußert und sich so den Zorn der Fans zugezogen hat?
Ich habe früher auch manche Sachen gesagt. Wichtig für den VfL ist, er haut die Bälle ins Netz. Seine Äußerungen sind im Verein kein Thema mehr. Auch nicht bei den Anhängern, die ihm schon nach dem ersten Heimspiel verziehen haben. Wenn sich Spieler wie er mit anderen Klubs beschäftigen, dann ist das legitim. Wichtig ist, sie geben alles für ihren Arbeitgeber und handeln wie Profis.
Apropos Profis. Erinnern Sie sich noch an die WM 1982?
Ja, wir wurden Vizeweltmeister.
Ich dachte da eher an das Vorrundenspiel Deutschland ge-gen Österreich. Nach dem 1:0 haben beide Mannschaften bis zum Abpfiff den Ball hin und her geschoben, weil das Ergebnis beiden reichte. Wenig professionell. Oder?
Ich weiß, ich habe mit meinem schwachen linken Fuß die Flanke zum 1:0 gegeben. Danach war ich aber selber darüber irritiert, was da auf dem Platz ablief.
Gab es vor dem Spiel kein Abkommen der beiden Nachbarländer, wie viele Experten noch heute unterstellen?
Definitiv gab es keine Absprachen. Rechnen konnten wir aber alle. Dass nach der Halbzeit nichts mehr nach vorn ging, hat mich als Stürmer selbst nicht zufrieden gestimmt. Ich hätte gerne noch ein schönes Tor erzielt.
Wie 1985, als Ihnen das Tor des Jahres gelang. Wissen Sie, wer 30 Jahre danach diese Ehrung erhielt?
Ich muss überlegen.
Carsten Kammlott aus Erfurt mit einem Hackenvolleytor.
Klar sagt mir der Name etwas. Eines kann ich den Fans von Rot-Weiß aber versprechen, ich werde ihn nicht für den VfL Wolfsburg scouten (lacht).